Karl Marx (1818–1883) gilt als Begründer der materialistisch-dialektischen Geschichtsmethodik und der Wissenssoziologie. Der von einem Rabbiner (Großvater) abstammende Marx erkannte besser als die Historiker vor und nach ihm, was menschliche Wesen als Subjekte und Urheber ihrer Geschichte beeinflussen können und worauf sie als Objekte der Geschichte keinen Einfluss haben.
Als Erfinder der Wissenssoziologie entwickelte er auch eine Theorie über die Art und Weise, wie die Vorstellungen von Historikern ihrerseits durch ihr gesellschaftliches Dasein und durch ihre daraus resultierende Stellung in der Gesellschaft bedingt sind. (1) Als ein den Vorrang des Dinghaften vor dem Geistigen anerkennender Philosoph befürwortet er grundsätzlich die Erkennbarkeit der Außen- und Innenwelt, wohl wissend, dass der Mensch als organischer Teil dieser Welt sie nie in Gänze wird erkennen können.
Nach ihm ergab sich alles Seiende aus der mechanischen Bewegung von Materie und damit verbundener energetischer Umwendungsprozesse (Entropie). Mit der Entdeckung der Quantenphysik durch Werner Heisenberg, Max Planck und Erwin Schrödinger vierzig Jahre nach Marxens Tod geriet der Materialismus ins Wanken, weil Materie im ganz Kleinen sich gewissermaßen ins Geistige verflüchtigt. Es verschwimmt das masselose Etwas, was in der Welle fließt oder es verraucht, was im Feuer brennt.
Wegen seiner noch klassischen materialistischen Weltsicht beschäftigte sich Marx hauptsächlich mit dem Problem der Arbeit und ihrer Bedeutung für das Menschsein überhaupt sowie ihrer widersprüchlichen Rolle, die sie im, dem Menschen offenbar auch innewohnenden Streben nach möglichst viel Freiheit spielt. Die materielle Seite des Soziallebens, insbesondere ihre wirtschaftliche Seite, die der Herstellung und des Verbrauchs, bezeichnete Marx als eine Erweiterung des menschlichen Stoffwechsels, das heißt des Austausches von Materie zwischen der Natur und dem Menschen. (2)
Die Freiheit des Menschen muss nach ihm immer durch die Notwendigkeit dieses Stoffwechsels begrenzt sein. Größere Freiheit, so schreibt er, könne nur durch rationelleres Regeln dieses Stoffwechsels mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen erreicht werden. Trotzdem blieb dies nach Marx immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt seiner Meinung nach die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gebe – das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Das Reich der Freiheit beginne in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und durch äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhöre. Es liege also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der materiellen Produktion. Grundvoraussetzung für mehr Freiheit sei deshalb die Verkürzung des zur eigenen und zur Existenzsicherung der Gesellschaft notwendigen Arbeitstages. (3)
Nach Hegel und Marx ist Freiheit das Ziel der historischen Entwicklung. Mit Hegel identifizierte Marx den Bereich der Freiheit mit dem Bereich des geistigen Lebens der Menschen. Er sah aber, dass die Menschen keine rein geistigen Wesen sind; dass sie weder völlig frei sind noch imstande, jemals völlige Freiheit zu erlangen, da sie für immer unfähig sein werden, sich zur Gänze von den Notwendigkeiten des Stoffwechsels und damit vom Leid der Arbeit zu emanzipieren. Sie könnten seiner Meinung nach bestenfalls die anstrengenden und unwürdigen Bedingungen der Arbeit verbessern, sie könnten sie menschenwürdiger machen, sie ausgleichen und die Plackerei so weit reduzieren, dass jeder von ihnen für einen Teil seines Lebens frei zu sein vermag. (4)
In seinem ökonomischen Hauptwerk, dem „Kapital“, untersuchte Marx das Bewegungsgesetz der Produktionsweise der modernen bürgerlichen Gesellschaft – die maximale Verwertung des Kapitals. Nach Marx kauft der Unternehmer die Arbeitskraft eines oder mehrerer Menschen wie eine Ware, die sich in zwei Teile aufgliedert: die notwendige Arbeit, in der der Arbeiter seinen Lebensunterhalt und anteilig den des Staates erwirtschaftet, während er in dem anderen Teil, der Mehrarbeit, für den Unternehmer unentgeltlich arbeitet.
Diese Mehrarbeit bildet nach Marx die Hauptquelle des Mehrwerts, wobei der Unternehmer wegen des Zwangs zu maximaler Kapitalverwertung bestrebt ist, die Kosten, d.h. auch den Preis für die Ware Arbeitskraft, den Lohn, zu drücken und die Mehrarbeitszeit zu erhöhen, wenn die politischen Umstände es erlauben. Dieses Streben steht im Widerspruch zum Freiheitsdrang der abhängig Beschäftigten, die ein umgekehrtes Interesse haben. Nach Marx besteht der eigentliche Reichtum des Menschen in seinem Vermögen, über soviel Lebenszeit wie möglich selbst bestimmt sowie frei von Angst und Not verfügen zu können.
(1) Vgl.: Eric Hobsbawn, Wieviel Geschichte braucht die Zukunft? München 2001, S. 93
(2) Vgl.: Karl Marx, Kapital I, MEW 23, Berlin 1975, S.192
(3) Karl Marx, Kapital III, MEW 25, Berlin 1976, S. 828
(4) Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd. 2, Tübingen 1945/1992, S. 121/122 |